DOK-Leipzig 2008

Johanngeorgenstadt: Das ist Heimat - trotz allem
Heute beginnt in Leipzig das Dokfilmfestival - Dresdner Regisseur zeigt eine liebvolle Hommage an die Menschen im Vogelbeerbaum-Land
Johanngeorgenstadt/Leipzig. Gelegen auf den waldreichen Höhen des Erzgebirges direkt an der Grenze zu Tschechien, war Johanngeorgenstadt einst eine stolze Bergmannsstadt. Jahrhundertelang sicherte der Bergbau den Johannstädtern, so nennen sich die Bewohner selbst, wachsenden Wohlstand und Einkommen bis die Gier nach dem Erz die Stadt selbst zerstörte.
Ab 1945 blähte der durch die SAG Wismut betriebene Uranabbau die Stadt innerhalb eines Jahrzehntes von ursprünglich knapp 7.000 auf über 45.000 Einwohner auf. Ein Großteil der Altstadt musste in den 1950er Jahren auf Grund der vom intensiven Bergbau verursachten Schäden abgerissen werden. Doch schon bald war es mit dem Uran vorbei - und die Einwohnerzahl sank auf 10.000.
Nach der Wende wurden zahlreiche Betriebe der Handschuh-, Textil- und Möbelindustrie geschlossen. Heute leben noch rund 5.000 Menschen in der Stadt, die meisten von ihnen haben ihr Berufsleben hinter sich. Die Jugend verlässt gezwungenermaßen die Stadt, denn außer Arbeit im Altersheim bieten sich ihr kaum Perspektiven. Johanngeorgenstadt ist ein Ort der bislang keine Zukunft gefunden hat.
Über eben diesen Ort hat André Wandslebe einen Heimatfilm der etwas anderen Art gedreht. "Vugelbeerbaam, eija" ist eine liebevolle Hommage an Menschen, die mit einem oft aus Verzweiflung geborenen Humor und zähem Optimismus an ihrer Heimat festhalten. "Ich wollte keinen erwartbaren Film über Tristesse und Resignation machen", erklärt Wandslebe, "sondern über Menschen, die aufrecht gehen, auch wenn sie in der Sackgasse gelandet sind."
Wandslebes Protagonisten sind fest verwurzelt mit dem Ort, in dem sie geboren wurden und ihr Leben verbringen. "Dahaam is dahaam", lautet ihr Leitspruch. Und das ist keinesfalls nur eine Sache der älteren Generationen wie "Vugelbeerbaam, eija" zeigt. Heimat ist für die Johannstädter nicht beliebig verpflanzbar - eine Haltung, die angesichts des herrschenden Diktats von Mobilität und Flexibilität subversiv anmutet. Dieser bedingungslosen Heimatliebe, die Regisseur Wandslebe selbst fremd ist, auf den Grund zu gehen, war für ihn ein Motiv, diesen Film zu machen.
Halt und Kraft finden die Menschen von Johanngeorgenstadt in ihren Traditionen, die sich vor allem rund um das Weihnachtsfest drehen. Dann leuchtet in fast jedem Fenster ein metallener Schwibbogen - eine Erfindung aus Johanngeorgenstadt. Der Ort im Vogelbeerbaum-Land trägt stolz den Beinamen "Stadt des Schwibbogens". Dass heute selbst im Erzgebirge die weißen Weihnachten auszufallen drohen, bekommt vor diesem Hintergrund eine ganz eigene Tragik.
Mit einem Augenzwinkern und Respekt vor den Menschen erzählt "Vugelbeerbaam, eija" die Geschichte eines in seiner Eigensinnigkeit sympathischen und gewitzten Bergvolkes, das seiner Stadt trotz aller Schwierigkeiten die Stange hält. "Die Probleme von Johanngeorgenstadt finden sich in der einen oder anderen Form überall in Ostdeutschland und in vielen Regionen Europas", meint André Wandslebe. Sein Film zeigt, dass Bleiben durchaus eine Option sein kann.
Service
"Vugelbeerbaam, eija" läuft am 30. Oktober um 14.30 Uhr in den Passage-Kinos Leipzig. In Johanngeorgenstadt selbst soll der Film am 6. Dezember zu sehen sein.www.dok-leipzig.de
Film-Tipp
Von Dörthe Stanke
Erschienen am 27.10.2008 © Copyright Chemnitzer Verlag und Druck GmbH & Co. KG